Wenn der Vater mit dem Sohne ein Diplom schreibt (HS Bochum)

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Mon, 23.04.2007, 21:09 (vor 6205 Tagen)

Generationsübergreifende Diplomarbeit an der Fachhochschule Bochum

Eigentlich war für Leszek Bojda (52) "die Sache" schon längst in Vergessenheit geraten; seine kleine Firma lief gut und sein Studium an der FH Bochum hatte er Jahre zuvor - ohne Diplom – beendet. Nur seine Ehefrau Christine ließ ihm keine Ruhe und erinnerte ihn immer wieder an dieses fehlende Dokument.

[image]Als Sohn Matthias (25), Bauingenieurstudent im 7. Semester an der FH Bochum, seine Diplomarbeit anmelden wollte, meinte er zu seinem Vater: "Wie wäre es – sollen wir beide zusammen unser Diplom machen?". Leszek Bojda überlegte nicht lange. Seit dem 1. März 2007 arbeiten Vater Leszek und Sohn Matthias beide an "ihrem" Diplom – bei Professor Dr. Andrej Albert vom Fachbereich Bauingenieurwesen. Thema der gemeinsamen Arbeit mit getrennten Arbeitsgebieten: "Untersuchung eines Bürogebäudes mit Wohneinheiten und Tiefgaragen in München".

Während sich Bojda junior um verschiedene Modellierungsarten für die Finite-Element-Berechnungen der Stahlbetonunterzüge kümmert, widmet sich Bojda senior der Untersuchung unterschiedlicher Gründungsvarianten. Ein reger Gedankenaustausch, verbunden mit interessanten Diskussionen zwischen Vater und Sohn, belebt das konzentrierte Arbeiten – für beide eine ungewöhnliche und dazu nicht alltägliche Situation.

Vater Bojda ist ein "alter Hase" im Geschäft. Er hatte schon vor Jahren in Gleiwitz/Polen am Schlesischen Polytechnikum Bauingenieurwesen studiert – allerdings auch hier leider ohne Abschluss. "Die Arbeitsmarktsituation in Polen war in meinem Beruf nicht gerade sehr rosig," erinnert er sich an diese Zeit, "also ging ich nach Deutschland, um hier als Bauingenieur tätig zu sein."

Leider wurde das polnische Studium nicht anerkannt und Leszek Bojda "schnupperte" wieder Hochschulluft. An der FH Bochum begann er 1992 bei Professor Dr. Burkhardt May, dem Vorgänger von Professor Albert, erneut ein Studium im Bauingenieurwesen.

An diese Zeit erinnerte er sich noch gerne zurück: "Mathematik hatte ich bei ████████. Er ist heute noch hier in Bochum tätig. Matthias geht ebenfalls in seine Vorlesung."

1993, ein Jahr nach Studienbeginn, begann Vater Bojda wie viele andere Studierende nebenbei zu arbeiten. "In einem kleinen Ingenieurbüro in Dortmund zeichnete ich Pläne und machte statische Berechnungen", erinnert sich der Senior an seine Anfangszeiten zurück. Das war nach einiger Zeit für beide Seiten so einträglich, dass Bojda 1996 einen Anstellungsvertrag – ganz ohne Studienabschluss und Diplomurkunde – bekam. Vier Jahre später machte er sich bereits selbständig. Heute betreibt er ein eigenes kleines Büro in Essen, in dem er sich mit Statik und Konstruktion beschäftigt.

Sohn Matthias war mittlerweile neugierig geworden, schaute hin und wieder mal über Vaters Schultern, machte in der Schule gerne Mathematik. Sein schulisches Betriebspraktikum fand in einem Essener Bauingenieurbüro statt. Nach dem Abitur gab es für Bojda junior zwei Möglichkeiten: "Entweder ich studiere Sportwissenschaften - oder Bauingenieurwesen an der FH hier in Bochum" erinnert er sich. Im Nachrückverfahren klappte es: Seit 2003 gehört Matthias Bojda zu den Studierenden im Fachbereich Bauingenieurwesen.

Professor Albert war mehr als überrascht, als er davon hörte, dass zwei Bojdas bei ihm ihre Diplomarbeit schreiben wollten. "Ich habe mich erst mal um die Diplomprüfungsordnung gekümmert," sagt er, "denn Bojda senior gehörte noch zu den Altstudierenden. Er hatte damals eine andere Vertiefungsrichtung. Das war aber gar kein Problem. Das Prüfungsamt hat alle Klausuren und Scheine anerkannt."

Leszek Bojda ist über seinen mutigen Schritt, zusammen mit seinem Sohn endlich die lang ersehnte Diplomarbeit zu schreiben, sehr erleichtert: "Weil ich keinen offiziellen Hochschulabschluss in Deutschland habe, konnte meine Frau kaum noch schlafen. Der Druck ist jetzt einfach weg und das ist ein gutes Gefühl für mich", schildert er seine Empfindungen.

Für Vater und Sohn Bojda endet mit dem Studienabschluss eine interessante Zusammenarbeit, die sie auch familiär noch weiter zusammengeschweißt hat. Beide sind sich einig: es hat einfach Spaß gemacht, mit anderen Studierenden zu lernen und in der Gemeinschaft etwas zu schaffen. Und sie haben sich ausgetauscht: über Professoren, über Lernziele und Lernmethoden.

"Das sage ich auch immer meinen Studierenden." betont Professor Albert, "Das Miteinander in einem Lernprozess ist für alle Beteiligten besonders wichtig."

Genauso wichtig ist den Bojdas auch ihre Diplomarbeit, die sie "ihrem" Professor abliefern werden. Wenn bald alle Prüfungen bestanden sind, hat Bojda junior schon ein neues Projekt vor Augen: Er möchte nun auch noch Sportwissenschaften an der Sporthochschule Köln studieren…

Quelle (Text und Bild):
FH Bochum, Sabine Neumann, Meldung vom 20.04.07
Diese Meldung im Web:
http://idw-online.de/pages/de/news205454
http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/135617/
http://www.juraforum.de/jura/news/news/p/1/id/152997/f/196/

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Dipl.-Ing. Martin Vogel
Leiter des Bauforums

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