Harnstoffformaldehyd-Leim in Bad Reichenhall (Medien und Kultur)

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Tue, 31.01.2006, 19:48 (vor 6659 Tagen)

Im ZDF-Polemikmagazin Frontal21 kommt heute um 21:00 ein Beitrag über die Untersuchungen von Prof. Bernd Hillemeier von der Technischen Universität Berlin an Proben aus der eingestürzten Holzdachkonstruktion von Bad Reichenhall.

Laut der ZDF-Webseite dazu war die Halle ursprünglich nur als überdachter Eislaufplatz ohne Seitenwände geplant gewesen. Nicht genug des Irrsinns errichtete man ein paar Jahre später die Seitenwände aus Glas, ohne irgendwelche Maßnahmen zu treffen, wie der Tauwasseranfall am Dach vom billigen, nicht wasserfesten, Harnstoffformaldehydleim ferngehalten werden konnte.

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Harnstoffformaldehyd-Leim in Bad Reichenhall

stuerm, Tue, 31.01.2006, 20:16 (vor 6659 Tagen) @ Martin Vogel

"Leim schuld oder nicht?" Also doch! Ich erinnere mich noch gut an mein Studium 64-68, unter welch extremen Auflagen die Konzessionen fuer die Leimbinderfertigung vergeben wurden. Aber: "Tand, Tand ist das Gebild aus Menschenhand"! Es ist unfassbar. Gruss, Stue.

Die Bauphysik, das Tauwasser und der Tod

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Wed, 01.02.2006, 09:49 (vor 6659 Tagen) @ stuerm

"Leim schuld oder nicht?" Also doch!

Ganz und gar nicht. Der Leim war für das geplante und ursprünglich errichtete Gebäude genau passend. Ich habe mir gerade noch einmal die Fotos der Eislaufhalle von Bad Reichenhall im Holzbau-Atlas von 1978 angesehen. Das Gebäude hat dort tatsächlich noch keine Außenwände! Es war als überdachter Eislaufplatz mit Tribüne konzipiert. Da sind keine großen Tauwasserprobleme zu erwarten. Das Drama begann erst, als man entdeckte, welchen nutzungsbezogenen Schildbürgerstreich man da baulich umgesetzt hatte und beim Nachrüsten der Gebäudehülle keine Rücksicht auf grundlegende bauphysikalische Phänomene nahm.

Es sieht tatsächlich so aus (Fotos), als sei die Dachkonstruktion überhaupt nicht gedämmt gewesen. Dass dann Baulaien gerne von einem "undichten Dach" sprechen, wenn das Tauwasser eimerweise in den Innenraum tropft, ist verständlich, aber falsch beobachtet. Das Dach mag dicht gewesen sein, doch der Tauwasseranfall muss gewaltige Dimensionen gehabt haben.

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stuerm, Wed, 01.02.2006, 16:54 (vor 6659 Tagen) @ Martin Vogel

Sie haben nur z.T. recht. Prof. Hillemeier spricht von "trockenen Hallen", in denen Harnstoffformaldehyd-Leim angebracht ist. Die nachtraegliche Verglasung hat das Problem nur verschaerft. Im Prinzip habe ich die Schadensursachen schon in meinem ersten Beitrag vom 05.01.06, 15:44, richtig vermutet.Dazu kommt jetzt noch die nach DIN unzulaessige Traegerhoehe.Im uebrigen sollte man einmal nach dem Architekten Schmidt-Schicketanz "googeln",der die Halle damals (als einen seiner ersten Auftraege) entworfen hat, da wird einem vieles klar. Gruss Stue.

Unzulässige Trägerhöhe in Bad Reichenhall?

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Thu, 02.02.2006, 12:11 (vor 6658 Tagen) @ stuerm

Nach welcher 1972 gültigen Norm war eine Trägerhöhe von 287 cm unzulässig?

Die Redaktion von Frontal(21) ist nicht gerade dafür bekannt, in Filmbeiträgen aufgestellte Behauptungen zu überprüfen, solange sie der gewünschten Tendenz eines Beitrages entsprechen. (Beispiel: "Frontalzusammenstoß")

Eine "trockene Halle" ist nicht notwendigerweise eine "geschlossene Halle". Wer schönes trockenes Kaminholz haben will, stapelt es seit Jahrhunderten einfach regengeschützt an der Hauswand. Dagegen ist schon so macher Raummeter schimmliges Moderholz fabriziert worden, weil immer wieder pfiffige Hobbykaminbefeuerer meinen, ihr Brennholz durch das Abdecken mit Plastikplanen trockener halten zu können.

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Unzulässige Trägerhöhe in Bad Reichenhall?

stuerm, Thu, 02.02.2006, 15:17 (vor 6658 Tagen) @ Martin Vogel

1.Bei der vorliegenden Dachkonstruktion (fehlende Daemmung, Dampfsperre) haette sich auch bei fehlenden Glaswaenden Tauwasser bei bestimmten Wetterlagen gebildet, natuerlich wesentlich weniger.
2.Der Beitrag von "Frontal" machte einen gut recherchierten Eindruck. Vielleicht sollte man die Behauptung, dass die Traegerhoehe unzulaessig war, erstmal so stehen lassen. Gruss, Stue.

Brennholz

stuerm, Thu, 02.02.2006, 18:34 (vor 6658 Tagen) @ Martin Vogel

Jeder Wohnmobilcamper weiss aber auch, wenn er nachts seine Markise nicht einfaehrt, dass er morgens oft darunter "duschen" kann, wenn er dagegenstoesst. Gruss, Stue.

Morgentau und faules Holz

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Thu, 02.02.2006, 19:26 (vor 6657 Tagen) @ stuerm

Das ist richtig beobachtet. Auch auf dem Brennholzstapel findet man Morgentau. Im Laufe des Tages verdunstet der wieder. Die langfristige Feuchtebilanz sieht dann so aus, dass das im Freien gelagerte Holz mit der Zeit immer trockener wird.

In der verglasten ungedämmten Halle jedoch muss es langfristig zu einer nahezu dauerhaften Durchfeuchtung tragender Teile gekommen sein. Selbst bei Verwendung besten Bootsbauerleims wären den Bad-Reichenhallern über kurz oder lang die Deckenträger weggefault. Der Leim hat versagt, aber er war nicht die Ursache.

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Die Bauphysik, das Tauwasser und der Tod

stuerm, Sun, 05.02.2006, 16:46 (vor 6655 Tagen) @ Martin Vogel
bearbeitet von unbekannt, Sun, 05.02.2006, 17:24

Nach ÖNORM EN 301 gehoert Harnstoffharzleim zu Leimen des Typs 2 und darf
nur verwendet werden im konstruktiven Holzbau, wenn die relative Luftfeuchte unter 85% bleibt. Gruss, Stue.

Önorm EN 301

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Sun, 05.02.2006, 21:30 (vor 6654 Tagen) @ stuerm

Nach ÖNORM EN 301 gehoert Harnstoffharzleim zu Leimen des Typs 2 und darf
nur verwendet werden im konstruktiven Holzbau, wenn die relative
Luftfeuchte unter 85% bleibt.

Jetzt wissen wir, dass die Halle nicht nach dem 1. November 1992 in Österreich hätte errichtet werden dürfen. Aber welche Norm galt 1972 in Bad Reichenhall?

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Önorm EN 301

stuerm, Mon, 06.02.2006, 08:03 (vor 6654 Tagen) @ Martin Vogel

Persoenliche Schuldzuweisungen muessen die Gerichte treffen. Den Bauing. interessiert in erster Linie die URSACHE des Ungluecks. Gruss, Stue.

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