Anschlussbewehrung vergessen: Balkon abgebrochen (Ingenieurbüro)

Martin Vogel ⌂ @, Dortmund / Bochum, Fri, 01.09.2006, 11:44 (vor 6418 Tagen)

Im schweizerischen Wädenswil riss am 27. August 2006 ein neu errichteter Balkon von seinen Aussenstützen ab und klappte gegen die Fassade. Eine Untersuchung ergab, dass die ausführenden Bauarbeiter sich haargenau an die Bewehrungspläne gehalten hatten: dort fehlte die Anschlussbewehrung. Der Verwaltungspräsident des Generalunternehmers sagte dazu: "Da muss der sonst sehr zuverlässige Ingenieur ein Blackout gehabt haben."

Nach einem Bericht des Tagesanzeigers sollen die sieben noch nicht eingestürzten Balkone des Neubaus nachträglich mit den Stützen verbunden werden.

Der Schweizer Balkonsturz ist nicht der erste Fall seiner Art. Am 28. Juli 2005 stürzte in Brühl bei Mannheim ein Balkon in die Tiefe. Aus dem Bericht des Stern: "Zu diesem Zeitpunkt befanden sich fünf Personen auf dem Balkon. Eine 57-jährige Frau und deren vierjähriger Enkel starben sofort, eine Nachbarin aus dem Erdgeschoss wurde von den herabfallenden Trümmern schwer verletzt und verstarb im Krankenhaus."

In der Netzeitung wurde ein dpa-Foto veröffentlicht, auf dem nicht ein einziger Bewehrungsstab zu erkennen ist.

Der im Auftrag der Staatsanwaltschaft Mannheim hinzugezogene Gutachter kam "zu dem Ergebnis, dass der Balkon des 1966/67 errichteten Anwesens zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd ausreichend standsicher war. Der Abriss der Balkonplatte hätte auch zu einem früheren Zeitpunkt eintreten können.
Wesentliche Ursache für das Versagen der Balkonkonstruktion ist nach den Darlegungen des Sachverständigen das Fehlen der in der statischen Berechnung und der Baugenehmigung geforderten Zugbewehrung durch Stahlarmierungen."

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen Bauleiter und Bauunternehmer wegen fahrlässiger Tötung. Die Tat ist nicht verjährt (der Pfusch wurde immerhin vor fast 40 Jahren begangen), da die Zählung nicht mit der Bauausführung begann, sondern mit dem Tod der Opfer.

[image]In der WAZ vom 22. August 1989 erschien im Lokalteil von Castrop-Rauxel ein Bericht über ein ganz ähnliches Geschehen. Auch dort fiel der völlig unbewehrte Balkon des etwa 1969 errichteten Hauses Insterburger Straße 35 von der Fassade. Zum Glück gab es dort keine Toten. Georg Walter hatte die Gartenliege, auf der er geköpft worden wäre, wenige Minuten zuvor verlassen. Die 83-jährige Großmutter, die sich auf dem Balkon aufgehalten hatte, kam mit einem mehrfachen Beinbruch davon.

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Dipl.-Ing. Martin Vogel
Leiter des Bauforums

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